Wer bin ich?
12.03.2021
Genaue Erinnerungen an die frühe Kindheit habe ich nicht.
Wenn ich versuche mich zu erinnern, komme ich stets an eine Grenze. Kann es sein, dass ich überwiegend geschrien habe?
Aber warum?
Ich weiß, dass ich geliebt und umsorgt wurde. Meine Mutter hat immer wieder erzählt, dass ich während einer langen Bahnfahrt von München nach Bielefeld ständig geschrien habe. Sie wurde mit bösen Blicken und Bemerkungen bedacht, weil sie mich nicht beruhigen konnte. In München wo sie mit mir in einer Pension übernachten wollte, wurde ihr nach der ersten Nacht bedeutet, dass sie nicht bleiben könne. Gäste hatten sich beschwert.
Ich vermute, dass ich als kleines Kind meinen Körper nicht spüren konnte. Warum musste ich schreien? Mutter konnte es nicht wissen. Heute habe ich eine Erklärung, aber dazu später. Meine Erinnerungen reichen weit zurück ins Kleinkindalter. Ich nahm früh mein Anderssein wahr, verkroch mich in die hintersten Ecken, um mich vor den Mitmenschen zu schützen, die mich, ohne es zu wollen, bedrängten, weil sie mit mir Kontakt aufnehmen wollten. In einer heilpädagogischen Gruppe war ich der einzige Behinderte, der nicht lernte, auf Aufforderungen zu reagieren. Man ließ mich irgendwann in Ruhe und gab die Versuche auf, mich in den Kreis zu zwingen. Ich aber beobachtete dass bunte Treiben der Kinder und begann darüber nachzudenken, warum ich ausgeschlossen war. In der Körperbehindertenschule erging es mir ähnlich, man bemühte sich mich einzubeziehen, aber ich beharrte in meiner Abwehrstellung. Wo immer ich mit meinen Eltern auftauchte, wir blieben einsam. Ich aber nahm mein Unglück schon früh bewusst wahr. Mir kommt die Festhalte-Therapie in den Sinn, die im Stuttgarter Autismus-Verband eine große Rolle spielte. Ich war meiner Mutter dankbar, dass sie mich mit dieser in meinen Augen gewaltsamen Therapie verschonte, nun aber frage ich mich, ob man mich nicht hätte als Säugling gewaltsam festhalten müssen. Ich hätte mich dann gespürt, vielleicht wären die Schreianfälle auf diese Weise zu beeinflussen gewesen. Im Kleinkindalter hätte man mich fest anpacken müssen, vielleicht wäre ich dann in Bewegung gekommen und hätte mitmachen können, was die anderen Kinder machten. Ich versuche mein verhalten im Nachhinein zu erklären. Ich konnte meinen Körper nicht richtig wahrnehmen und habe noch heute in manchen Phasen das Problem, dass ich mich nicht spüren kann, das heißt, dass bei mir der sogenannte sechste Sinn nicht immer funktioniert. Es geht um die Eigenwahrnehmung, um die Tiefensensibilität. Es ist ein großes Unglück, wenn die neuronalen Vernetzungen im Gehirn nicht funktionieren. Wenn ich meinen Körper nicht spüre, verliere ich das Gefühl für meine Begrenzungen. Ich kann dann nicht als Ich reagieren. Es stimmt, dass ich ein unglückliches Kind war, aber heute sage ich mit Überzeugung: "Ich lebe gern und bin dankbar, dass Entwicklungen möglich wurden."
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Wer bin ich?
In Pokhara in Nepal 2010
Dietmar Zöller stellt sich vor:
Geboren wurde ich am 2. Dezember 1969 in Balige /Nordsumatra.
Wie mir berichtet wurde, ahnte niemand etwas von einer Behinderung. Ich wog über 8 Pfund bei der Geburt, und die indonesischen Freunde gratulierten voller Ehrerbietung zu dem dritten Sohn. Ein undefinierbares Fieber, das mit 2 ½ Monaten begann, wurde viel zu spät als Malaria tropica entlarvt. Und dann, ich war inzwischen 4 ½ Monate alt, passierte, was nicht hätte passieren dürfen: Eine Überdosis Resochin führte zu einem Atem-Kreislauf-Stillstand. Drei Stunden lang wurde im Beisein meiner Mutter um mein Leben gekämpft, um ein Leben, das nur ein behindertes sein konnte, weil mein Gehirn unwiederbringlich geschädigt war. Nach Deutschland zurückgekehrt, begann meine Leidensgeschichte. Ich konnte nicht leben und nicht sterben. Ich entwickelte mich nicht. Wenn ich einen Fortschritt gemacht hatte, wurde ich wieder krank, und alles war umsonst gewesen. Als ich 8 Monate alt war, bekam ich einen Malariarückfall, der zu spät erkannt wurde. Meine Mutter nahm mich mit nach Hause, weil die Ärzte mich aufgegeben hatten.
Nach Indonesien durften wir nicht zurück. Das Risiko wäre zu groß gewesen. Ich war schon 2 ½ Jahre alt, als meine Mutter endlich beginnen konnte, mich systematisch zu fördern. Die Anregungen bekam sie im Kinderzentrum in München. Ich musste nun täglich Übungen machen, gegen die ich mich anfangs oft wehrte. Aber meine Mutter gab nicht auf und konnte mir im Laufe der Zeit vieles beibringen, was ich nie aus eigenem Antrieb gelernt hätte. Körperlich blieb ich schwach, hatte viele Infekte und als ich mit 3 ½ Jahren die ersten Schritte wagte, konnte ich noch lange nicht ausdauernd laufen. Nach wenigen Schritten sackte ich zusammen. Ich weinte und jammerte viel, konnte aber allmählich längere Zeit am Tisch sitzen und Übungen machen.
Ich selbst hörte meine eigene Stimme so verzerrt, dass ich erste Versuche, mit Außenstehenden zu reden, schnell wieder aufgab. Ich lernte früh lesen, ohne mich anstrengen zu müssen.
Das Schreiben gelang nur, wenn meine Mutter mich anfasste. Aber was ich schrieb, waren meine Einfälle. Ich spürte Mutters Überraschung und entwickelte eine unbändige Lust sie zu verblüffen.
„Autistische Verhaltensweisen
bei Funktionsstörungen
des Zentralnervensystems
nach frühkindlicher Erkrankung an Malaria tropica ohne wesentliche intellektuelle Beeinträchtigungen.“
Ich war und blieb ein schwieriger Schüler, den man duldete, aber mit dem man eigentlich nichts anfangen konnte. Ich tat nichts und sagte nichts, saß aber dabei und bekam alles mit, was um mich herum passierte.
Ich konnte mein Leben nur aushalten, wenn ich passiv blieb. Sobald ich mich bewegte, gerieten meine Wahrnehmungen so durcheinander, dass ich total hilflos wurde. Niemand verstand meine Probleme, trotzdem wurde ich lange Zeit geduldet, ohne dass man mir vermittelte, ich sei untragbar.
machen können. Mir war es auch nicht wichtig, ein Reifezeugnis zu bekommen.
Ich war mir immer bewusst, dass ich außerordentlich schwer behindert bin, dass ich aber durchaus Begabungen habe. Mein erstes Buch erschien, kurze Zeit bevor ich die Schule verließ.
So habe ich mich gemalt:
1978
1980
1985
1986
1985
So werde ich vielleicht als alter Mann sein.