Dietmar Zöller

Zum Fall Arian aus Bremervörde-Elm 2

Zum Fall Arian aus Bremervörde-Elm 


Wir haben gemeinsam mit Arian und seiner Familie gelitten und uns viele Gedanken gemacht, was mit Arian passiert sein könnte. Was uns beschäftigt, nachdem ein toter Junge gefunden wurde, sind Spekulationen und darum vorläufig: Vielleicht verlies Arian bei Dunkelheit und spärlich gekleidet das Haus, ohne es zu wollen.

Ich selbst kenne mich gut genug um zu wissen, dass mein Körper manchmal Dinge tut, die ich nicht tun will, die also nicht vom Willen gesteuert sind. Er könnte wie ein Bewusstloser davongelaufen sein, bis ihn die Kälte und körperliche Schwäche davon abhielt, weiterzulaufen. Vielleicht hat er sogar den Drang verspürt umzukehren. Dann hätte er sich weniger autistisch verhalten als ich mich verhalten hätte, als ich 6 Jahre alt war.




27.06.24


Ich steigere mich so in den Fall Arian rein, dass ich es nicht aushalte,  wenn ich mir die letzten Stunden und Minuten seines Lebens vorstelle. Die Angst und das Unvermögen die Angst in Gedanken auszudrücken übersteigt alle Vorstellungen vom Leiden eines Kindes. Ich glaube, dass auch gut meinende Menschen, alle, die helfen wollten, nicht genug Phantasie einbringen konnten um sich vorstellen zu können, was in einem Autisten vorgeht. Wir sog. Autisten sind so entsetzlich ausgegrenzt, weil uns kein normal denkender Mensch verstehen kann.
Ich will mich selbst nicht bemitleiden, denn mir konnte geholfen werden. Wäre Mutter nicht so verständnisvoll gewesen, hätte mir ein Schicksal beschieden sein können,  wie es Arian erleben musste.
Trauer um Arian hat eine andere Qualität als Trauer um Vater und Bruder. Ich bin noch einst davongekommen.
Ich bleibe dabei: Ich habe bis jetzt ein reiches Leben gehabt. Mein Leben ist reich an Beziehungen. Die Beziehungen bedeuten mir viel.
Warum hat Gott das zugelassen? Diese Frage habe ich nicht gestellt im Hinblick auf meine Trauer um Vater und Gernot. Arian, ich habe dich nicht gekannt. Ich kenne die 
Bilder nicht, die von dir verbreitet wurden. Meine Tante sah Bilder und erkannte mich, so wie sie mich erlebt hatte, als ich 6 Jahre alt war. Wer war ich damals? Wer bin ich jetzt? Wer bist du gewesen, Arian, als du die Geborgenheit in der Familie spüren konntest? Wie gern wäre ich dein Freund gewesen, ein Freund, der den Autismus hautnah erlebte, als Kind, als Jugendlicher und als erwachsener Mann. Arian, nun gibt es eine Gewissheit, von der ich wusste, bevor sie offiziell bestätigt wurde. Woher kam meine Sicherheit, dass Arian auf diese schreckliche Weise in der Nähe seines Elternhauses ohne Fremdeinwirkung ums Leben kam? Ich bin autistisch und bleibe es, solange ich lebe. Ich konnte mich von Anfang an mit Arian identifizieren und mit Unterstützung meiner Mutter und meiner Assistentin Palma gaben wir der Polizei in Bremervörde den Hinweis, man möge zuerst in der allernächsten Umgebung nach dem verschwundenen autistischen Jungen suchen. Unser Hinweis wurde ernst genommen, aber Arian wurde trotz intensiver Suche 2 Monate lang nicht gefunden. Ich bin froh, dass wir nicht geschwiegen haben. Schweigen hätte als Desinteresse interpretiert werden müssen. Aber unser Interesse war riesengroß, auch unser Mitgefühl mit Arian und seiner uns unbekannten Familie.

 

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