Buchbesprechung Gestützte Kommunikation bei nichtsprechenden Menschen
22.07.21
Gisela Erdin
Gestützte Kommunikation mit nichtsprechenden Menschen
Eine empirische Untersuchung
Psychosozial-Verlag 2021
Besprochen von Dietmar Zöller
Ein neues Buch zu einem Thema, das seit ca. 10 Jahren als ausgereizt galt. Der Begriff Gestützte Kommunikation ist die Übersetzung von Facilitated Communikation und wurde in Deutschland bekannt nach den Veröffentlichungen von Rosemary Crossley aus Australien. In der Auseinandersetzung um die Gestützte Kommunikation beschränkt man sich auf die Arbeit von Rosemary Crossley und berücksichtigt in der Regel nicht, dass es schon vor Crossley Bemühungen gab, nichtsprechenden Menschen das Schreiben zu ermöglichen. Die Gestützte Kommunikation (FC) wurde in Deutschland überwiegend bei nicht sprechenden Menschen aus dem Autismus Spektrum angewandt. Der Titel dieser neuen Veröffentlichung weist darauf hin, dass es nicht nur um Autisten geht, sondern allgemein um Menschen, die Probleme mit der Kommunikation haben. Die Verfasserin dieses Buches hängt ihre Untersuchungen an vier Fallbeispielen auf. Diese Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass vier Personen ausführlich in allen sozialen Bezügen dargestellt werden. Bei allen vier Beispielen ist die Verfasserin überzeugt, dass die Gestützte Kommunikation dazu beigetragen hat, dass sich diese Menschen zu Persönlichkeiten entwickeln konnten. Ich sehe die Stärken dieser Fallbeschreibungen darin, dass die Entwicklung unter vielen Gesichtspunkten beleuchtet wird. Die Bezugspersonen kommen ausführlich zur Sprache und das soziale Umfeld wird genau unter die Lupe genommen. Die Probanden für die gestützte Kommunikation werden als Personen wertgeschätzt und einfühlsam behandelt. Die Wertschätzung der Person ist oberstes Gebot. Es wird nicht dogmatisch festgelegt, wie und an welchem Körperteil Unterstützung angewandt wird. Es wird überdeutlich, dass man die Gestützte Kommunikation nicht gleich beherrschen kann. Nicht jeder, der einen Einführungskurs gemacht hat, ist in der Lage, einen nicht sprechenden Menschen dazu zu bringen, seine Gedanken und Gefühle zu kommunizieren. Wer sich auf die Gestützte Kommunikation einlässt, muss wissen, dass eine Arbeit von vielen Jahren auf ihn zukommt. Auch wenn die Verfasserin dieses Buches nur über vier Beispiele berichtet, vermittelt sie dem aufmerksamen Leser den Eindruck, dass das es sich lohnt, mit einem nicht sprechenden Menschen eine Kommunikationsfähigkeit aufzubauen.
Ein FC Nutzer (Lutz Bayer) schrieb einmal: „Stützen ist sensible Kunst von einfühlsamen Seelen“. Das wird dem aufmerksamen Leser dieser Fallbeschreibungen überdeutlich. Das Stützen ist keine Technik, die man schnell erlernen könnte. Die Stützperson muss spüren, an welcher Körperstelle der Proband einen Druck braucht, um in Gang zu kommen. Menschen, die beim Schreiben gestützt werden müssen, brauchen die Unterstützung in der Regel bei allen Tätigkeiten. Die Verfasserin benutzt ganz selbstverständlich den Begriff Handlungsstörungen. Für sie zeigen sich Handlungsstörungen schon beim Hantieren mit Spielsachen. Autistische Kinder fallen schon im Kindergartenalter auf, weil sie nicht spielen können. Wer bestreitet, dass es bei autistischen Menschen Handlungsstörungen geben kann, offenbart, dass er keine Erfahrungen mit autistischen Menschen hat. Man kann sich natürlich fragen, ob vier Fallbeispiele ausreichen, das Phänomen Gestützte Kommunikation überzeugend darzustellen. Es wäre hilfreich gewesen, wenigstens an einem Beispiel zu demonstrieren, dass es nicht immer gelingt, das Kommunikationsverhalten zu verbessern. Es ist in manchen Fällen nicht zu erklären, warum eine am Anfang positive Entwicklung stagniert oder rückläufig erscheint. Man hätte zeigen können, dass die Gestützte Kommunikation nicht in jedem Fall zum Erfolg wird. Mögliche Stützpersonen sollten darauf eingestellt sein, dass sie einen langen schwierigen Weg vor sich haben, der ohne Supervision kaum zu bewältigen ist. Wer eine Person, die nicht über Lautsprache verfügt, begleiten möchte, sollte in der Lage sein, das eigene Verhalten zu reflektieren. Dieses Buch sollte weit verbreitet werden. Viele Vorurteile über die Gestützte Kommunikation können ausgeräumt werden. Die Forderung, die nichtsprechenden Menschen als Subjekte zu sehen, durchzieht das ganze Buch. Menschen, die nicht lautsprachlich kommunizieren können, sind Personen mit Fähigkeiten, Wünschen und Gefühlen, wie sie auch bei sprechenden Menschen anzutreffen sind.
Bleibt nachzutragen, dass in wissenschaftlichen Beiträgen und im Zusammenhang mit den Analysen der vier Fallbeispiele viele Gesichtspunkte, die in der FC-Kritik eine Rolle gespielt haben, ausführlich beleuchtet werden. Ich nenne nur einige Beispiele: Spracherwerb als Teil der Gesamtentwicklung, dann Wahrnehmungs- und Handlungsstörungen, fehlendes Emotionsverhalten, Körperbewusstsein und Körperspannung, Beziehungsaufbau vom Säuglingsalter an, Störungen in den frühesten Mutter-Kind-Interaktionen u.a.
Man kann die Gestützte Kommunikation (FC) als einen integrativen Bestandteil der Unterstützen Kommunikation (UK) ansehen, keinesfalls sollte man FC oder UK gegeneinander ausspielen. Ein wichtiges Buch, das hoffentlich zur Diskussion anregt und darauf hinweist, dass Kommunikation ein Menschenrecht ist.