Dietmar Zöller

Weihnachten 2017


Ich weiß nicht, was ich von Weihnachten halte.

 

Alle Jahre wieder

das Gedöns mit

Plätzchen, Nüssen und

Geschenken.

 

Ich weiß nicht,

ob ich mich freue.

Die Familie aus Afghanistan.

Ein Kind ist geboren.

 

Kinder warten

in Kabul

auf Weihnachten,

auf ein Fest

mit der Familie.

 

Weihnachten

für mich,

der ich als Christenkind

das Licht der Welt

erblickte.

 

Eine unvollkommene

Schöpfung

für immer.

Aber Weihnachten

will ich erleben

 

wie ein

Christkind,

auserwählt

als Segen

für viele.

 

(2017)

 

 

Weihnachten

Nachdenken

Über Flüchtlinge in

Deutschland,

Über Frieden bei

Uns und anderswo.

 

Nachdenken

Über Menschen,

Die anders sind,

Einsam und

Unverstanden.

 

Nachdenken

Über Freundschaften

In Vergangenheit und

Heute.

Welch ein Geschenk ist

Freundschaft.

(2017)

 

 

Über Freundschaften

Jetzt, in der Vorweihnachtszeit und wenige Tage vormeinem 48. Geburtstag, denke ich darüber nach, was mir Freundschaft bedeutet. Man meint ja immer noch, dass autistische Menschen nicht in der Lage sind, Freundschaften einzugehen und zu leben. Den nicht sprechenden Autisten traut man erst recht nicht zu, Freundschaft empfinden zu können. Ich selbst erlebe mit fast 48 Jahren eine tiefe, beglückende Freundschaft. Diese Freundschaft ist etwas Besonderes und Wertvolles. Und nun beginne ich darüber nachzudenken, wie das in der Vergangenheit mit Menschen war, deren Freund ich sein wollte.

In meinem emotionalen Gedächtnis ist mancher Augenblick gespeichert, den ich als Glück empfunden habe. Es begann damit, dass mir, als ich 11 Jahre alt war, in der Schule für Körperbehinderte ein Zivi zugeteilt wurde, den ich vom ersten gemeinsamen Augenblick sehr mochte. Ein Foto von mir, aufgenommen an seinem letzten Tag in der Schule, zeigt, dass ich meinen Schmerz mimisch ausdrückte, was mir selten gelang.

Nach einem Schulwechsel, ich war ca. 15 Jahre alt, buhlte ich um die Freundschaft meines neuen Klassenlehrers, dem ich viele Briefe schrieb. Er blieb mein Freund bis zu seinem traurigen Krebstod vor zwei Jahren. Seine Tochter fand in seinem Nachlass ein dickes Bündel mit den Briefen, die ich ihm geschrieben hatte. Obwohl ich den Stempel „autistisch“ zu Recht trage, empfinde ich Trauer sehr intensiv.

Und dann gab es jenen Zivi, der Schüler meiner Mutter gewesen war und für fast zwei Jahre mein Weggefährte wurde. Mit Frau und Tochter feiert er meinen 48. Geburtstag mit mir.

Die Freunde, die ich jetzt gerade in mein Gedächtnis gerufen habe, schenkten mir viel, aber auch ich konnte ihnen etwas geben. Sie fühlten sich beschenkt von mir. Was ist das Geheimnis einer Freundschaft? Faszination, die von einem Menschen ausgeht, ohne dass man begründen könnte, warum man von der Person fasziniert ist.

Was ich auch schon in anderen Zusammenhängen beschrieben habe, kann ich heute zusammenfassend bestätigen: Ich nehme eine Person, die ich noch nicht kenne, als erstes intuitiv wahr. Ich erlebe, ob jemand authentisch ist. Das macht die Faszination aus. Die visuelle Wahrnehmung einer Person gestaltet sich schwierig, weil ich in Gedanken Puzzleteile zusammensetzen muss. Die Wahrnehmung der Augen des Gegenübers geschieht spät oder gar nicht. Wenn ein Augenkontakt kurz zustande kommt, ist sozusagen der Funke übergesprungen. Eine Freundschaft kann beginnen und wächst mit jeder Begegnung.

Ich möchte behaupten, dass ich trotz der Autismus-Diagnose ein guter Freund sein kann. Keineswegs bin ich nur auf mich bezogen. Andere Menschen interessieren mich, manche faszinieren mich. Wenn ich wie andere Menschen verständlich und laut sprechen könnte, würde manch einer gern mit mir zusammen sein und meine Freundschaft suchen.

 

us