Dietmar Zöller

Kommunikation ist ein Menschenrecht - FC als integrativer Bestandteil von UK


Warum Kommunikation als Menschenrecht bezeichnet werden muss, möchte ich versuchen zu begründen. Kommunikation ist keine Nebensache im menschlichen Dasein. Die Kommunikation mit der Mutter beginnt, sobald das Leben begonnen hat. Es ist eine gute Gewohnheit, das Neugeborene der Mutter auf dem Bauch zu legen. Das neugeborene Kind schmiegt sich an die Mutter und es dauert nicht lange bis ein erstes lächeln ausgetauscht werden kann. Wenn dieser frühe Prozess gestört wird, besteht die Gefahr, dass die Entwicklung des Kindes beeinträchtigt wird. Manchmal muss eine andere Person die frühe Kommunikation in Gang bringen. Wird ein Säugling vernachlässigt oder ist zu krank und zu schwach, um kommunizieren zu können, sind Entwicklungsverzögerungen oder Entwicklungsschäden die Folgen. Darum ist es wichtig, mit dem kleinem Kind in einen Kommunikationsprozess einzutreten. Das älter werdende Kind braucht die Ansprache und die zärtlichen Gesten, um sich angenommen zu fühlen. Das Kind, das in der Ecke hockt und nicht am Gruppen geschehen teilnehmen kann ist ein unglückliches Kind. Ich denke an Kinder, die man als autistisch bezeichnet. Nichts sollte unversucht gelassen werden, um so ein Kind aus seiner Situation zu befreien. Wie auch immer therapeutische und pädagogische Bemühungen bezeichnet werden, sie sollten das Ziel verfolgen, Kontaktbrücken zu dem einsamen Kind herzustellen. Jede kommunikative Geste kann ein Anfang sein, um ein Miteinander möglich zu machen. Unter dem Oberbegriff 'Unterstützte Kommunikation' (UK) wurden viele Beispiele gesammelt, die einsamen Kindern helfen können, aus ihrer Isolation in kleinen Schritten herauszutreten. Es geht immer darum Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen und Kommunikationsprozesse zu erleichtern. Facilitated Communication ist das Zauberwort, das in Australien von Rosemary Crossley geprägt wurde und in Deutschland als Gestützte Kommunikation bekannt wurde, die Abkürzung FC in Deutschland leider zu einem Gegenbegriff zu UK. Diese Fehlentscheidung bedarf dringend einer Korrektur. Es geht schließlich darum, Menschen mit einem Handicap die Kommunikation zu erleichtern. Fortschritte auf unterschiedlichem Niveau sind möglich. Für manche Menschen bedeutet es viel, wenn sie ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen können. Manche lernen das Schreiben, indem man sie am Arm oder an einem anderen Körperteil berührt (stützt). Es mutet wie ein Wunder an, wenn eine Person, die nicht lautsprachlich kommunizieren kann, offenbart, dass die Denkfähigkeit gar nicht eingeschränkt ist und die Selbstreflexion auf hohem Niveau möglich ist. In meinem Verständnis stellt das Gestützte Schreiben die Krone der therapeutischen Möglichkeiten dar. Das Gestützte Schreiben (FC) sollte nicht länger als Gegenbegriff zu UK gesehen werden, sondern als ein Bestandteil der unterstützen Kommunikation mit alle ihren Facetten.



Warum ich nach wie vor bereit bin mich für FC einzusetzen

Ich habe mich so lange Zeit mit dem Thema FC auseinandergesetzt, dass wenn ich heute etwas dazu sagen will, das nur das Resümee eines 50-jährigen sein kann, der autistisch war und bis zum Ende seines Lebens bleiben wird. Ich fasse zusammen, was ich zu diesem Thema hinterlassen möchte.

1.  Das Stützen, das immer mit einem Körperkontakt einhergeht, sollte nicht verteufelt werden.

2. Jemanden stützen heißt, dass man körperliche Probleme auszugleichen versucht.

3. Körperliche Berührungen können Defizite kompensieren und es möglich machen, dass behinderte Menschen, nicht nur Autisten, das tun können, was von ihnen erwartet wird.

4. Die gestützte Kommunikation (FC), die durch eine Unterschriftenaktion abgelehnt wurde, die behauptet, FC sei widerlegt, betrifft den Ansatz von Rosemarie Crossley (Crossley, Rosemary. Gestützte Kommunikation. Ein Trainingsprogramm. Weinheim, 1997). Den Ansatz kenne ich gut und ich habe mich zeitweise bemüht, die Kriterien zu erfüllen.
 
5. Schreiben und Lesen lernte ich lange, bevor Crossleys Ansatz in Deutschland bekannt wurde. Ich schrieb mit der Hand und wurde dabei gestützt. Das heißt, meine Schreibhand musste stabilisiert werden.

6. Die Schreibhand zu stabilisieren, egal, in welcher Weise, heißt nicht, dass das Geschriebene von der Person, die stützt, inhaltlich beeinflusst wird. Über das gestützte Schreiben mit der Hand sind mir keine Untersuchungen bekannt. Oppenheims Buch (Oppenheim, Rosalind C. Effective Teaching Methods for Autistic Children. Springfield, 1974) kannten meine Mutter und ich nicht, als wir begannen, mit der Hand zu schreiben.

Ich bezeichne mich als Experte für gestützte Kommunikation, weil ich die einschlägige Literatur dazu gelesen habe.
Ich habe auch fremdsprachige Texte gelesen und zum Teil übersetzt.
In zahlreichen Buchveröffentlichungen und Aufsätzen habe ich mich zu dem Thema gestützte Kommunikation geäußert.
Ich bin aber nicht der typische Anwender von gestützter Kommunikation, für den ich oft gehalten werde. Ich lernte Lesen und Schreiben, als es weder UK noch FC gab.
Meine Mutter, die zeitlebens meine beste Therapeutin und Lehrerin war, erfasste intuitiv, dass sie meine Hand anfassen musste, wenn ich die Hand gebrauchen sollte.
So lernte ich das Schreiben mit der Hand in jungen Jahren. Als wir das Buch von Oppenheim kennenlernten, waren wir überrascht, dass wir nicht die Einzigen gewesen waren, die das Schreiben mit der Hand praktiziert hatten.
Als die gestützte Kommunikation (FC) nach Rosemarie Crossley in Deutschland bekannt wurde, stieg ich sehr bald ein und begann das Tippen mit einem Finger zu üben.
Ich solidarisierte mich mit den FC-Nutzern und setzte mich in zahlreichen Publikationen mit FC auseinander.

Der Begriff FC (‚facilitated communication') wurde im deutschsprachigen Raum als ‚gestützte Kommunikation‘ übersetzt, wobei sich die Abkürzung FC durchgesetzt hat. Den Begriff FC sollte man vielleicht eher als ‚erleichterte Kommunikation‘ übersetzen. Diese Übersetzung hätte im Einklang gestanden mit den Zielsetzungen von UK. Die gestützte Kommunikation nach Crossley geriet nach meiner Einschätzung in Misskredit, weil der Begriff ‚Stützen‘ fälschlicherweise mit ‚Führen‘ gleichgesetzt wurde. Die kritischen Studien zu FC, von denen ich viele gelesen habe, überprüfen ausschließlich, ob die Äußerungen, die gestützt geschrieben wurden, von den FC-Nutzern kamen oder von der Person, die gestützt hatte, beeinflusst wurden oder nicht. Die negativen Ergebnisse der Studien lassen sich nicht wegdiskutieren.
Aus eigener Erfahrung kann ich Hypothesen anbieten, die erklären können, warum FC Nutzer in Prüfungen versagt haben.

1. Emotionale Blockaden, die es unmöglich machen können, die gestellte Aufgabe zu erfassen.

2. Ablenkungen durch visuelle, akustische, olfaktorische und andere Wahrnehmungsstörungen.

3. Gestörte Auge-Hand-Koordination: Ein fixierter Buchstabe, der angetippt werden müsste, muss kurzzeitig verlassen werden, damit die Hand tätig werden kann.

4. Ein gestörtes Körpergefühl oder Körperbild: Wer seinen Körper und seine Begrenzungen nicht zuverlässig spürt, kann die Schreibhand nur zielgerichtet betätigen, wenn er an Hand, Arm oder Schulter berührt wird.

5. Manche FC-Nutzer erfassen sehr genau die Emotionen der Stützperson und erfassen genau, ob die Stützperson ihnen zutraut, etwas Sinnvolles schreiben zu können.

6. Man sollte unterscheiden, ob ein FC-Nutzer sachliche Prüfungsaufgaben (z.B. Mathematikaufgaben) lösen soll oder ob er aufgefordert wird, zu schreiben, was ihm in den Sinn kommt.

Zu meinen Publikationen

Bei Durchsicht meiner 13 Buchveröffentlichungen wurde mir klar, dass das Thema gestützte Kommunikation (FC) in den meisten Büchern vorkommt. Man muss dabei unterscheiden:
1. Sachlich wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema.
2. Gedanken zum Thema in Tagebuchform, in denen auch emotionale Äußerungen eine Rolle spielen.
3. Andere literarische Formen wie Erzählungen, Erlebnisberichte und Briefe an andere FC-Nutzer. Ich habe mich immer dafür interessiert, was FC-Nutzer schreiben, denken und mit ihrer Körpersprache ausdrücken. Meine Homepage, die vor ca. 10 Jahren meine Mutter zusammen mit einem Zivildienstleistenden einrichtete und weiterführte, bis sie erblindete, zählt 103.966 Besucher (Stand April 2021). Auch dort findet man viele Beiträge zu FC. Ich habe ein Problem damit, dass so viele Menschen meine Homepage besuchen, aber nur selten jemand was ins Gästebuch schreibt. Ich habe die Vermutung, dass sich viele Leser für die Innensicht eines autistischen Buchautors interessieren, aber Probleme haben, Kontakt aufzunehmen.


Februar/März 2021


Mein Wunsch für die Autismus Forschung: Für die Personen um die es geht wird eine innen Sicht und eine außen Sicht unterschieden

Schreiben was einem in den Sinn kommt

Ich war noch nicht im Schulalter, als ich mit der Hand schreiben konnte, wenn ich gestützt wurde. Ich schrieb was mir einfiel. Mutter machte keine Vorgaben. „Schreib, was du willst“, war ihr Motto. Als ich älter wurde, begann ich das, was ich aufschrieb, Tagebuch zu nennen. Heute frage ich mich, ob diese Art des Schreibens nicht dem ähnlich ist, was ein Klient beim Analytiker macht. Ich verstehe das so: Der Klient lässt heraus, was er fühlt und denkt.

Eine Freundin aus Zürich, die heute als Therapeutin arbeitet, erbte die Couch ihres Analytikers, nachdem er gestorben war. Ich durfte bei einem Besuch auf dieser Couch schlafen. Von dieser Freundin erfuhr ich, was passiert, wenn jemand beim Analytiker auf der Couch liegt.

Er sagt, was ihm in den Sinn kommt. Beim Analytiker darf man alles herauslassen, was einem einfällt. Ein Filter ist nicht erwünscht.
Ich habe es gewagt, Passagen aus meinem persönlichen Tagebucheinträgen zu veröffentlichen. Es war eine bewusste Entscheidung, weil ich ehrlich sein wollte. Ich bin überzeugt, dass Forscher, die herausgekommen möchten, was autistische Personen denken und fühlen, auf solche ehrlichen Bekenntnisse angewiesen sind. Ich plädiere dafür, dass in der Autismus-Forschung die Verflechtung von Innensicht und Außensicht ein stärkeres Gewicht bekommt. Ich bin mir aber durchaus bewusst, dass es keine wissenschaftlichen Kriterien gibt, um Gefühle und Einstellungen einer Personengruppe statistisch zu erfassen und zu beschreiben.




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