Dietmar Zöller

Nachdenken über Wörter


12.04.22          Zumutung

Wie könnte das Wort Zumutung entstanden sein? Was ist eine Zumutung?

Wenn ein Liter Öl plötzlich 4.99 € anstatt 1.80 € kostet, erlebt das meine Assistentin als Zumutung. Meine Mutter erlebt es als Zumutung, dass sie ihren kranken Ehemann nicht im Krankenhaus besuchen darf. Sie brauchte eine Begleitung, weil sie nichts sieht. Das aber ist unzumutbar in Corona Zeiten.

Ich mute meinen Mitmenschen viel zu, wenn sie ertragen sollen, dass ich die Türen zuschlage.

Was sagen die Leute über die Zustände in unserer Familie? Es ist unzumutbar, dass die 82-jährige blinde Frau ihren schwer kranken Ehemann und den autistischen Sohn pflegt.

Aber zurück zu dem Substantiv "Zumutung". Es ist eine Zumutung, was Putin der Weltgemeinschaft antut.

Es ist eine Zumutung, dass Frauen ihre Kinder im Keller zur Welt bringen müssen. Im Wort Zumutung ist das Wort Mut versteckt. Es erfordert Mut, im Krieg ein Kind zu zeugen und zu gebären.

Möge die Menschheit den Mut nicht verlieren.

 

12.04.22          "Redundant"

Das Wort redundant ist in meinem Gedächtnis eingeprägt seit vielen Jahren. Eine hochbetagte Psychologin, die ich sehr schätzte, benutzte die Vokabel, nachdem sie in meinem Manuskript zu dem Buch "Ich wollte, dass wir uns verstehen" gelesen hatte. Meine Briefe und Tagebücher enthalten viele Wiederholungen. Was ich schrieb, war an unterschiedliche Adressaten gerichtet. Ich wollte mit meinen Problemen verstanden werden und beschrieb meine Wahrnehmungsstörungen auf vielfältige Weise. Widersprochen habe ich mich nicht, meine Aussagen sind authentisch. Ich wünschte mir, dass meine Leser/innen das merken. Menschen wie ich, die zum Autismus Spektrum gezählt werden, sind Missverständnissen ausgesetzt. Diese Feststellung will ich an dieser Stelle nicht konkretisieren. Die Bemerkung "Redundant" wäre vorprogrammiert.

 

 

11.04.22        Vergessen

Es ist eine Gnade vergessen zu können, und manchmal ist es eine Gnade etwas verdrängen zu können. Mein Erinnerungsvermögen wird bestaunt von denen, die mich verstehen. Aber was sind die Konsequenzen? Es kommt mir so vor, als fehlte in meinem Gehirn der Platz für die Bereiche, die das Handeln möglich machen. Denken kann ich alles, aber die Umsetzung der praktischen Aufgaben gelingt nur mit Unterstützung. Voller Bewunderung beobachte ich, wie meine Mutter ihr schwieriges Leben organisiert. Da wird etwas gedacht und augenblicklich in die Tat umgesetzt. Auch ich denke und plane, aber dann entsteht Chaos. Alte Menschen verlieren manchmal die Fähigkeit Ordnung zu schaffen, das äußere Umfeld der Person wird zum Spiegel dessen, was im Gehirn in Unordnung geraten ist. Und nochmal ein Hinweisen auf das nicht vergessen können, ich vergesse nichts. Aber ich versage bei jeglicher Arbeit. Ich erinnere etwas, was die meisten Menschen längst vergessen hätten. Ich bin blockiert, wenn andere meinen, dass ich die Mitarbeit verweigere.

 

 

 

11.04.22           Endlichkeit

Die Nachrichten über die Ereignisse in der Ukraine legen es nahe an die Endlichkeit des menschlichen Daseins zu denken. Kinder und junge Männer verlieren ihr Leben, das noch gar nicht gelebt werden konnte. Opfer auf beiden Seiten, russische Mütter weinen um ihre gefallenen Söhne. Ukrainische Männer, die sich von ihren Frauen und Kinder trennen mussten, werden zu Opfern und sterben einsam für ihr Land, das sie liebten.

Tod in Russland, Tod in der Ukraine, aber auch Tod in Deutschlands Krankenhäusern. Manch einer wartet dort vergeblich auf seine Lieben, Corona schränkt nach wie vor Besuchsmöglichkeiten ein. Testkontrollen und Mundschutz verhindern kommunikative Begegnungen. Angst, vergebliches Warten. Die Endlichkeit des Lebens ist im Bewusstsein, wann ist das Ende, unausweichlich rückt es näher. Was für ein Ende wird mein eigenes Leben krönen. Ich will es nicht wissen, aber eins ist gewiss: mein Leben ist endlich und endlich ist das Leben derer, die ich liebe.


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