Fabeln
Fabeln
Die Spinne und die Blattlaus
„Ich kann das Warten nicht aushalten“, stöhnte die Spinne, die den Weihnachtsputz schon fertig hatte. „Aber warum beginnst du auch jedes Jahr früher mit den Festvorbereitungen?“, bemerkte anzüglich die Blattlaus, die vollgefressen und behäbig auf dem Gummibaum herumlungerte. „Ich warte dieses Jahr auf etwas ganz Besonderes“, bemerkte die Spinne schwärmerisch. „Blödsinn“, lachte die Blattlaus, “es passieren keine Wunder. Erwarte wenig, dann erlebst du Überraschungen“, sagte es und verschwand unter einem großen Blatt.
Zusammenhalten
„Mach die Tür zu!“, schnauzte das Rhinozeros den jüngeren Bruder an. „Ich denke nicht daran“, schrie dieser aus vollem Halse, „ich muss nicht tun, was du mir befiehlst. Das Rhinozeros, das seine Macht ausprobieren wollte, keifte zurück: „Im übrigen bin ich der stärkere und kann dich fertig machen.“ Da begann das kleine Rhinozeros zu weinen und zu toben, so dass die Fetzen flogen. Als plötzlich die Eltern erschienen, wurde es augenblicklich still. „Wir haben kämpfen gespielt“, erklärte ruhig das ältere Rhinozeros und der kleine Bruder stimmte freudig zu.
Freundlichkeit zahlt sich aus.
„Geh aus dem Weg!“, schnauzte das Rhinozeros den kleinen Bruder an, der ihm den Weg in ein Gehege versperrte. Das kleine Rhinozeros dachte nicht daran nachzugeben. Sie standen sich eine Weile zornig gegenüber, als zufällig der Oberbürgermeister aus der Stadt der Rhinozerosse vorbei kam und in das Gehege eintreten wollte. „Bitte, ich mache Ihnen Platz“, sagte das kleine Rhinozeros freundlich und trat zur Seite. „So freundliche Tiergenossen traf ich lange nicht“, sagte der Oberbürgermeister, „ich werde euch eine Belohnung zukommen lassen.“ Er ging eilig von dannen. Die Brüder vertrugen sich und wurden einig, dass sie die Belohnung miteinander teilen wollten.
Wie gut ist es doch, wenn man autistisch ist….
Ein alter Igel lag in seiner Höhle und dachte über sein Leben nach. Da schaute plötzlich eine Igelfrau um die Ecke und begann zu reden ohne ein Ende zu finden. Sie redete nur von sich und ihren Verdiensten für die Gemeinschaft der Igel. Als der alte Igel endlich ein Wort dazwischen bekam, sagte er: „Wie gut ist es doch, wenn man autistisch ist und keine Lust zum Reden hat.“ Er drehte der Frau seine Stacheln zu und verkroch sich in der Hoffnung, endlich wieder für sich sein zu können.
Zwei alte Igel im Altenheim
Zwei alte Igel trafen sich zufällig im Altenheim wieder. „Was, bist du auch hier gelandet?“, fragte der eine, der den anderen früher bei einer Freizeit für Behinderte gesehen hatte. Sie musterten neugierig einander. Dann antwortete der andere: „Man wusste nicht, wo man mich unterbringen sollte, ist mir recht hier. Die Leute sind ruhig und nett und verbreiten keine Unruhe.“ „Auch ich kam hierher“, sagte nun der andere, “weil meine Geschwister nichts mit mir anfangen konnten, auch ich bin zufrieden und verbringe meine Tage mit Lesen und Nachdenken.“ Ohne noch ein Wort zu sagen, schlurften die Igel fort, jeder in seine Kabine, wo es absolut ruhig war und nichts die Gedanken ablenken konnte.
Die Überraschung
Ein Igel, der Zeit seines Lebens ein Einzelgänger gewesen war, traf einen alten Bekannten aus seiner Schulzeit. „Hallo, du, wir kennen uns. Wir waren doch in Mayers Klasse“, sagte der Igel, der am Stock ging und schon viele Stacheln verloren hatte. „Ich kenne dich“, antwortete stotternd der Einzelgänger und wunderte sich, dass er die drei Wörter aussprechen konnte. „Du kannst ja sprechen“, freute sich der ehemalige Schulkamerad und redete nun auf den anderen ein. Der stand da wie ein begossener Pudel und wippte von einem Fuß auf den anderen. Plötzlich rannte er fort, ohne noch etwas gesagt zu haben. “Der war schon immer komisch“, dachte der Igel und ging seines Weges.
Ein Igel mit Hilfebedarf
„Ich will meine Ruhe haben“, dachte der Igel, dem es gelungen war in einer eigenen Höhle wohnen zu dürfen, obwohl er noch immer Hilfen nötig hatte. Da stand schon wieder unangemeldet ein großer Igel vor der Tür, der sich um seine Höhle kümmern wollte und sofort begann, in allen Ecken herumzuschnüffeln. Argwöhnisch beobachtete der Igel den Eindringling, sagte aber nichts. Als der andere Igel mit seinem Hilfeeinsatz fertig war und eine Unterschrift haben wollte, stellte sich der Igel dumm und unterschrieb nichts. „Auf Wiedersehen“, sagte der Igel freundlich. „Auf nicht mehr Wiedersehen“, entgegnete der Igel mit dem Hilfebedarf und zog sich in die hinterste Ecke der Höhle zurück, wo er seine Ruhe genoss,
Lieber einen Platz im Igelaltenheim
„Hast du Lust mich zu versorgen?“, fragte der Igel seine Schwester, die ihm immer etwas distanziert gegenüber gestanden hatte. Sie wandte sich wortlos ab und verdrückte eine Träne. Nach einer Weile kam sie zurück und fragte: „Wie viel Pflegegeld bekommst du?“ Da riss dem Igel der Geduldsfaden und er brüllte die Schwester an: „Ich verlasse die Höhle augenblicklich und suche mir einen Platz im Igelaltenheim.“ Und schon war er fort und hatte die Schwester einfach stehen gelassen.
Lass mich in Ruhe
„Lass mich allein!“, sagte der alte Igel zu seiner stacheligen Betreuerin, die am liebsten pausenlos um ihn herum tapsen würde. Pikiert schnaubte die Igelfrau und murmelte etwas wie „Undankbarer Stachelprotz“. Als sie verärgert den alten Igel sich selbst überließ und fort ging, sagte der Igel: „Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man in meiner Umgebung Unruhe schafft.“ Er stellte die Igelmusik an und fühlte sich so wohl in seiner stacheligen Haut, dass er sich gar nichts Besseres wünschen konnte.
Überraschung
In der Entenschule gab es einen Enterich, der aus dem Rahmen fiel. Nicht nur, dass er nicht schnattern konnte, er stellte sich bei allem ungeschickt an. Wenn die andern Entenkinder etwas von ihm wissen wollten, reagierte er nicht. „Den müssen wir in eine andere Schule schicken“, meinte eines Tages der Leiter der Entenschule. Da begannen alle Entenkinder der Klasse aufgeregt zu schnattern und nahmen den stummen Enterich in ihre Mitte. Im Chor schnatterten sie: „Das ist unser Enterich, der muss bleiben.“ Der Leiter der Entenschule schaute verwundert in die Runde und sagte: „Ich nehme den Enterich nicht aus eurer Klasse. Aber kümmert euch um ihn!“ Als er den Klassenraum verlassen hatte, schnatterte mit dünner Stimme der Enterich, der noch nie etwas geschnattert hatte: „Danke“.
Gackern bringt nichts
„Du bist ein Versager“, gackerte das braune Huhn und warf einen verächtlichen Blick auf das weiße Huhn, das nicht gackern konnte und sich pausenlos Federn ausriss. „Du kannst nicht gackern“, gackerte ein anderes Huhn, das hinzugetreten war, „wie sollen wir mit dir zusammen leben?“ Das weiße Huhn reagierte nicht auf das Gerede, aber es dachte: „Gackern bringt auch nichts, wenn man damit Hühner verletzt, die krank sind.“
Das unglückliche Hähnchen
Im Hühnerhof gackerten die Hühner um die Wette. Man konnte nichts mehr verstehen. Ein kleines Hähnchen stand abseits und scharrte unablässig den Boden auf. Da kam ein stolzer Hahn des Weges und rempelte das Hähnchen rüde an. „Lasst mich in Ruhe!“, gackerte das Hähnchen und floh in den Stall, wo es sich in eine Ecke hockte und bitterlich weinte.
Zweifelhafte Bequemlichkeit
Der dicke Krötenvater vergrub sich hinter einer überdimensionalen Wochenzeitung. Das Geschrei seines kranken Sohnes überhörte er, denn er benutzte Ohropax als Schutz gegen derartige Zwischenfälle. „Komm schnell!“, rief hysterisch seine zarte Krötenfrau, „unser Fränzchen hat einen Anfall.“ Er aber hörte nichts und schaute verärgert auf, als seine Frau vor ihm stand. Da erst bemerkte er ihr Zittern und ihre Tränen. Endlich erhob sich die Kröte schwerfällig, um nach dem Rechten zu sehen. Da stand aber auch schon der Krankenwagen vor der Tür, den seine Frau angefordert hatte. Beschämt suchte die Kröte die Toilette auf und konnte den ganzen Abend lang seiner zarten Krötenfrau nicht mehr in die Augen schauen.
Missverständnis
Eine Ameise wirbelte den ganzen Tag im Bau herum, räumte allen Ballast beiseite, ohne einmal auszuruhen. Ein Hirschkäfer kam des Weges und sah die unstete Ameise. „Was treibst du da den ganzen Tag, du Ameise?“ Die Ameise guckte gar nicht hin und arbeitete ohne Unterlass. „Nun hör mir doch mal zu“, bettelte der Käfer mit freundlicher Stimme. Nach einer Weile kam die Ameise ihm entgegen und sagte mit erschöpfter Stimme: „Tut mir leid, dass ich nicht sofort reagierte, aber ich muss mich beeilen, weil gleich mein krankes Kind nach Hause kommt.“ Der Hirschkäfer war betroffen und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen, um etwas über das Kind zu erfahren. Sie verabschiedeten sich freundschaftlich.