Vom Schenken und Beschenktwerden
In Vorbereitung:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Warum möchte ich, dass dieses Buch ein Vorlesebuch wird?
Als 1989 mein erstes Buch „Wenn ich mit euch reden könnte“ erschienen war, schrieben mir unabhängig voneinander zwei Lehrerinnen, dass sie ihren Schülern aus meinem Buch vorlasen und die Erfahrung machten, dass die Kinder ganz ruhig wurden und aufmerksam zuhörten. Daran dachte ich, als ich die Texte für dieses Buch zusammenstellte. Könnte nicht manch ein Text ähnliche Wirkung haben und Alt und Jung zum Nachdenken bringen? Ich bin gespannt auf die Wirkung.
Mein erstes Buch war nicht als Vorlesebuch konzipiert. Aber die Texte waren kurz und es gab etliche Gedichte, so dass man das Buch nicht fortlaufend lesen musste. Die Schüler, von denen die Lehrerinnen berichteten, waren vermutlich Schüler von einer Schule für Geistigbehinderte. Ich habe im Laufe meines Lebens viel über die Schüler nachgedacht, die als Geistigbehinderte bezeichnet wurden. Vor einigen Jahren hatte ich die Möglichkeit, Einblick in eine Filmaufnahme zu nehmen, die eine Familie von ihrem damals 16-jährigen autistischen Sohn gemacht hatte. Der Junge trug mein 1989 erschienenes Buch („Wenn ich mit euch reden könnte“) mit sich herum und wollte es nicht einmal beim Essen weglegen.
In einer anderen Szene las der Vater seinem Sohn, von dem niemand in der Schule annahm, dass er lesen könnte, aus meinem Buch vor. Ich war beeindruckt und fragte mich, ob es vielleicht in den Förderschulen Schülerinnen und Schüler gibt, die lesen können und meine Texte verstehen.
Und nun zu meinem neuen Buch, das ich als Vorlesebuch konzipiert habe. Es geht nicht um neue Texte, sondern um Texte aus verschiedenen Zeiten, von denen zum Teil mehrere Fassungen vorliegen. Es sind auch Texte dabei, die im Zusammenhang mit einem Literaturstudium entstanden. Ich wurde angehalten, unterschiedliche literarische Formen auszuprobieren. Mir hat das experimentelle Schreiben Spaß gemacht. Warum sollten nicht Schüler von Förderschulen angesprochen werden und auch den Humor verstehen, der zum Beispiel in den Fabeln versteckt ist. Heute lesen auch
viele Erwachsene nicht gern dicke Bücher. Ich habe die Vorstellung, dass in einem Gesprächskreis von interessierten Lehrern, Betreuern oder Eltern über kurze Texte, die vorgelesen werden, Gespräche entstehen. Dabei muss es keinesfalls immer um das Thema Autismus gehen. Ein Blick über den Tellerrand kann den Horizont erweitern und den Blick für Menschen öffnen, die andere Probleme als Autismus zu tragen haben. Dieses Buch ist ein Experiment und hat nicht als oberstes Ziel, über Autismus zu informieren. Was ich erzähle, soll auch erheitern und Zuhörer zum Lachen bringen. Ich bin durchaus in der Lage, über mich selbst zu lachen. Ich habe alte Klamotten herausgekramt und hoffe, dass ich damit großen und kleinen Menschen eine Freude bereiten kann. Ein „Altenbegleiter“ in einer anthroposophisch gefärbten Einrichtung für alte Menschen, dem ich das Manuskript für dieses Buch schenkte, las in regelmäßigen Abständen den Frauen und Männern in einer Wohngruppe aus dem Buch vor. Die Resonanz war erfreulich. Die alten Menschen tauten auf und wollten immer mehr über mich wissen. Im Gespräch mit diesem Altenbegleiter wurde mir klar, dass man das Vorlesen durchaus als ein Teilhabeangebot für Menschen mit Kommunkationsproblemen sehen kann.
Es hat lange gedauert, bis ich einen passenden Titel für dieses besondere Buch gefunden hatte. Der Titel „Vom Schenken und Beschenktwerden“ hat etwas dynamisches und weist drauf hin, dass es um Beziehungen geht, um eine Art von Kommunkation. Man könnte den Titel auch umkehren „Vom Beschenktwerden und Schenken“. Der Titel spiegelt in hohem Maße mein Leben, das gefährdet war vom Säuglingsalter an.
Geschenkt wurde mir ein Leben, das viele Fragen offen ließ. Geschenkt wurde ich meinen Eltern im fremden Land ohne Perspektive für mich.
Geschenkt wurde ich meinen Brüdern, die nicht ahnten, welche Bürde sie tragen mussten.
Doch dann die Wende.
Geschenkt wurde mir ein Lebensjahr, geschenkt wurden mir viele Lebensjahre,
prall gefüllt mit Erlebnissen und Erfahrungen.
Ich wurde zum Geschenk für meine Familie.
Ich erfuhr Liebe und lernte, Liebe zurück zu geben.
Geschenkt habe ich meine Liebe, ohne Reue und ohne Enttäuschung. Es gab Liebe zurück in Hülle und Fülle.
Ich habe geschenkt und wurde beschenkt.
Mein Leben, ein Geschenk, das ich wertschätze.
Ich habe im Laufe meines Lebens oft und gern Geschenke gemacht. Da waren zum Beispiel die jährlichen Weihnachtsrundbriefe und einige unveröffentlichte oder noch nicht veröffentlichte Manuskripte, die mein Vater wie ein Buch zusammenfügte und kunstvoll mit einem Einband versah.
Ich schenkte meinem Patensohn Julian ein
solches selbstgemachtes Buch zur
Konfirmation. Das Buch hatte den Titel „Nun
bist du soweit, wie ich nie gekommen bin /
Ein autistischer junger Mann verfolgt die
gesunde Entwicklung seines Patenkindes“.
Das Buch enthielt die Briefe, die ich Julian
schrieb, seit er auf der Welt war.
Ich bekam, wenn ich etwas verschenkt hatte,
Dankbarkeit und große Wertschätzung
zurück. Es entstanden Beziehungen, die
Jahrzehnte hielten und in einigen Fällen bis zum Tod der Freunde und Freundinnen dauerten. Ich lernte früh, dass es immer wieder für mich ein Du gab, dem ich vertrauen konnte und von dem ich große Wertschätzung erfuhr. Manchmal war ich beschämt, was mir anvertraut wurde. Aber es gab für mich ein Problem: Bilder, die ich malte, verschenkte ich selten als Original. Ein Bild zu verschenken war immer so, als gebe ich mich selbst weg. War und ist das Egoismus? Beschämt bin ich noch heute, wenn ich sehe, dass Kopien von meinen Bildern bei lieben Menschen an der Wand hängen. Dazu gehören selbstgebastelte Kalender mit Bildkopien, die viele Jahre überstanden.
Martin Bubers Titel einer berühmten philosophischen Abhandlung, „Ich und Du“, fällt mir immer wieder ein, wenn ich daran denke, welche Bedeutung Geschenke, die ich machte, bekamen. Es ging immer um die Beziehung Ich und Du, die zu einer Beziehung Du-Ich wurde.
Spuren
Ich lernte schreiben Und hinterließ Spuren Spuren meiner Gedanken Und Gefühle.
Schreiben schafft
Abgrenzung,
schafft Einblicke,
Rückblicke und
Erinnerung.
Derzeit suche ich noch nach einem Verlag für das Buch.